Was sind offene Briefe und warum gibt es sie?

Im Laufe der letzten Jahre kann man vereinzelt offene Briefe im Internet finden.

Diese beschäftigen sich jeweils mit dringenden Themen aus der Sicht von Fachleuten bzw. Spezialisten oder Künstlern. Augenscheinlich sehen diese Menschen keine andere Chance, um auf dringliche Probleme aufmerksam zu machen.

Offene Briefe sind also Meinungsäußerungen, die als vervielfältigte Handschrift, Flugschrift, in Presse, Radio, Internet oder anderen Medien einer erweiterten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Durch die sogenannte Mehrfachadressierung, also der direkte Empfänger des Briefes und zusätzlich die Öffentlichkeit, versucht man dem Ansinnen mehr Gewicht zu geben, als wenn einfach nur ein Brief geschrieben wird, wo vom wichtigen oder brisanten Inhalt niemand etwas erfährt.

Der Brief kann zusätzlich direkt an den oder die Empfänger zugestellt werden. In seiner Dissertation analysiert Rolf-Bernhard Essig Beispiele offener Briefe seit der Antike, die belegen, wie der offene Brief sich im Wechselspiel mit der Entwicklung von Öffentlichkeit verändert. So werden die offenen Briefe zuerst in Abschriften und mündlich verbreitet und stehen in rhetorischer Tradition.

Auch Luther nagelte am 31. Oktober 1517 seine 95 These an die Kirchentür und wählte damit so etwas wie einen offenen Brief, obwohl die Thesen zur Reformierung der bestehenden Kirche dienen sollten.

Der Mainstream läuft gegen den offenen Brief Sturm, zeigt er doch das immer stärker werdende Versagen der alten Massenmedien. Früher stürzte sich eine Zeitung auf kritische Themen und informierte und polarisierte die Gesellschaft durch neue wichtige Informationen oder Meinungen.

Heute gibt es nur noch Ansätze von kritischer Berichterstattung. Im Übrigen haben wir über den Begriff „Früher“ lange gerungen, weil es sonst so ein Totschlagargument der älteren Generation ist. Aber leider gibt es tatsächlich diese Chronizität des Verfalls der Massenmedien vom kritischen Medium zum Sprachrohr von Politik und Wirtschaft.

Dadurch werden wichtige Fakten und Meinungen von Fachleuten, Experten und Wissenschaftlern nicht bekannt, die aber dringend die Berufspolitiker erreichen müssten.

Beispielgebend zetert Antonia Baum von der Zeit https://www.zeit.de/2021/11/offener-brief-kritik-methode-form-abschaffen am 11. März 2021 „Es ist an der Zeit, den offenen Brief endlich abzuschaffen .... aber die ganze Welt verfasst ununterbrochen sogenannte offene Briefe, und das ist schrecklich, das muss aufhören. " Antonia Baums Nachforschungen haben ergeben, „dass durch die Briefform eine Beziehungsnähe simuliert wird. „Ja genau das haben wir befürchtet, dass x Hundert Unterzeichner nur deswegen einen offenen Brief schreiben.

Die Berliner Zeitung am 09.07.2022 fällt ruckzuck ein Generalurteil über alle offenen Briefe und stellt damit alle Unterzeichner, egal ob Professor oder Doktor für nicht gerade schlau hin.

"Der offene Brief hat als Form einen großen Mangel an Sprache und Inhalt. Er zeugt von einer inflationierten Institution des Geisteslebens. Zeit für ein paar Widerworte. Von Leander Steinkopf

Nun können wir die Berliner Zeitung und andere beruhigen. Wir werden hier offene Briefe veröffentlichen, damit der Inhalt viel bekannter wird als bisher, wo die Briefschreiber wie beim Lotto nie wissen, ob der Mainstream über diese Themen und Meinungen berichten darf.

Ein bisher oft übersehener Vorteil der offenen Briefe ist das offizielle und nachweisliche Informieren.

Moralisch oder juristisch zeigt aber die Überstellung der Informationen bzw. Wertungen durch die offenen Briefen einen bedeutungsvollen Fakt, dass der Adressat sich nicht mehr herausreden kann, dass er „es“ dann nicht gewusst hätte. Er also nach dem Empfang in Unkenntnis einer Sachlage gehandelt hätte. Schlimmstenfalls kann man dann den Sachverhalt als Begehen durch Unterlassen betrachten. Denn durch die ihm überstellten Informationen kann er sich eventuell in Zugzwang befinden, um ein erkennbares Übel zu beseitigen, also nun durch „Nichts tun“ dann direkte Verantwortung trägt:

Begehen durch Unterlassen § 13 StGB

(1) Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

Soweit die trockene Juristerei.

Stellen wir also mit der gezielten Veröffentlichung von offenen Briefen einen weiteren Teil einer Gegenöffentlichkeit dar und damit etwas ursprüngliche Demokratie die durch Informationen zu einer Willensbildung beiträgt.