In diesem offenen Brief fordern nun 13 europäische Organisationen und Gewerkschaften den Rat dazu auf, die Grundrechte der europäischen Patient:innen zu stärken. Alle Menschen in der EU sollten demnach das Recht erhalten, der primären und insbesondere sekundären Nutzung ihrer medizinischen Daten widersprechen zu können („Opt-out“). Den offenen Brief haben unter anderem die Organisationen European Digital Rights (EDRi), Epicenter.works, die Freie Ärzteschaft und der Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit unterzeichnet.

An die europäischen Gesetzgeber:

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, die Patienten, Angehörige medizinischer Berufe, Menschen mit Behinderungen, Verbraucherorganisationen und Organisationen für digitale Rechte sowie Arbeitnehmer und Gewerkschaften vertreten, fordern Sie dringend auf, die Grundrechte der europäischen Patienten bei der Digitalisierung unserer Gesundheitssysteme zu wahren und den vorgeschlagenen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) um eine Zustimmungspflicht für die Weiterverwendung von Gesundheitsdaten zu ergänzen.

Wir begrüßen die Zielsetzung des EHDS, EU-weit interoperable und moderne digitale Gesundheitssysteme zu schaffen, doch leider versäumt es der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission, die Patienten zu schützen, wenn es um den Austausch und die Verwendung ihrer persönlichen medizinischen Daten durch Dritte geht.

Der EHDS-Vorschlag behauptet, dem Einzelnen mehr Kontrolle über seine privaten Informationen zu geben, aber tatsächlich bewirkt er genau das Gegenteil: Er entzieht ihnen diese Kontrolle vollständig. Nach den von Kommission vorgeschlagenen Regeln hätten die Patienten kein Mitspracherecht bei der Weitergabe und kommerziellen Nutzung ihrer Daten und würden nicht einmal darüber informiert, wer sie erhält.

"Die Wahrung der Vertraulichkeit von Gesundheitsdaten ist ein wesentlicher Grundsatz in den Rechtssystemen aller Vertragsparteien der [Europäischen] Konvention [zum Schutz der Menschenrechte]. Sie ist nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Wahrung der Privatsphäre des Patienten, sondern auch für die Erhaltung seines Vertrauens in die Ärzteschaft und in die Gesundheitsdienste im Allgemeinen."

(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte)

Infolgedessen setzt der Vorschlag den seit langem geltenden Grundsatz der Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient außer Kraft und untergräbt in eklatanter Weise die grundlegendsten Prinzipien des Datenschutzes, die in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) festgeschrieben sind, nämlich dass die Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten die Einwilligung der betroffenen Person erfordert, außer in wenigen, genau definierten Ausnahmefällen.

Anstatt den besonderen Schutz anzuerkennen und zu gewährleisten, der unseren Krankenakten durch die DSGVO und die höchstrichterliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zuerkannt wird, schlägt der EHDS vor, Ärzte und Krankenhäuser gesetzlich zu zwingen, diese Vertraulichkeit zu verraten und sensible medizinische Informationen an staatliche Datenverarbeitungseinrichtungen weiterzugeben. Diese Einrichtungen würden diese Daten ihrerseits Daten an Dritte weitergeben, auch zur kommerziellen Nutzung.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern den europäischen Gesetzgeber daher dringend auf, den EHDS-Vorschlag so zu ändern, dass die Datennutzer verpflichtet sind, eine gültige Einwilligung von Patienten einzuholen, deren persönliche medizinische Akten sie für sekundäre Zwecke nutzen möchten.

Eine "Opt-out"-Regelung, wie sie im Berichtsentwurf der Berichterstatter im Europäischen Parlament vorgeschlagen wird, ist keine adäquate Alternative, denn sie bürdet den Patienten die Last des Sich- Informierens, Verstehens und Entscheidens zu einem Zeitpunkt auf, an dem sie sich in besonders verletzlichen Situationen von Krankheit und anderen gesundheitlichen Problemen befinden.

Wenn es beim Europäischen Gesundheitsdatenraum wirklich darum geht, den Menschen die Kontrolle über ihre medizinischen Daten zu geben und Vertrauen in Europas neue digitale Gesundheitsinfrastruktur zu schaffen, muss er sich dieses Vertrauen verdienen.

Unterzeicher:

AIDS Action Europe (Regionalnetzwerk), Deutschland
AK EUROPA (Büro der Bundesarbeitskammer Brüssel), Österreich
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.
BUKO Pharma-Kampagne, Deutschland
Europäische digitale Rechte, EU
Europäisches Behindertenforum, EU
Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst,
EU Europäische Allianz für die Rechte von Sexarbeiterinnen, EU
Epicenter.works – für digitale Rechte, Österreich
Freie Ärzteschaft e.V. (Vereinigung freier Ärzte), Deutschland
Global Health Advocates, Frankreich
Health Action International, Niederlande
Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit, Deutschland
medConfidential, Großbritannien
Mental Health Europe, EU

8 Februar 2024