In einem offenen Brief an die Verwaltungsspitze unter OB Alex Maier beklagt der Beirat Missstände bei der Ausstattung von Haltestellen, die schleppende Planung des neuen Zentralen Omnibusbahnhofs und die fehlende Beteiligung der Fahrgäste.

Regionaler Fahrgastbeirat des Landkreises Göppingen im VVS
Heiko Stobinski (Sprecher) Lange Straße 14
73033 Göppingen
07161 6564026
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

An
OB Alex Maier
Erste Bürgermeisterin Almut Cobet Baubürgermeisterin Eva Noller
Hauptstraße 1
73033 Göppingen

Entwicklung des ÖPNV in der Innenstadt sowie Beteiligung des Göppinger Fahrgastbeirats


Lieber Herr Oberbürgermeister Maier,

sehr geehrte Frau BM Cobet,

liebe Frau BM Noller,

mit großer Sorge verfolgt der Göppinger Fahrgastbeirat vor dem Hintergrund der angestrebten Mobilitätswende die Entwicklung des ÖPNV in der Göppinger Innenstadt. Das betrifft einerseits die schleppende Planung des neuen Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB), andererseits sind bei den begleitenden ÖPNV-Maßnahmen auch gegenwärtig gravierende Missstände zu beklagen. Hinsichtlich der Beteiligungsformen mangelt es in Fragen des ÖPNV außerdem an zivilgesellschaftlicher Teilhabe.

Umbau Zentraler Omnibusbahnhof

Für uns ist es unverständlich, dass sich die Planungen für den dringend notwendigen Umbau des ZOB so lange hinauszögern. Spätestens mit dem Beschluss des Kreistags zur Stärkung des ÖPNV im Rahmen des Konzepts „Bus19+“ vor rund sechs Jahren wurde deutlich, dass der Busverkehr zunehmen würde. Der neue Nahverkehrsplan des Landkreises sieht darüber hinaus den weiteren Ausbau des Linienverkehrs vor, rund ein Viertel mehr Buskilometer sollen in den kommenden Jahren finanziert werden. Mittelfristige Ziele sind durch die Beteiligung der Region die Taktverdichtung der Linie X93 nach Lorch und die Einführung des Expressbusses nach Kirchheim.

Dadurch wurden und werden die Mängel des Zentralen Omnibusbahnhofs immer offensichtlicher, die Kapazitäten sind längst überschritten: Doppelbelegung von Bussteigen, in den Hauptverkehrszeiten qualvolle Enge in viel zu kleinen Wartebereichen und Fahrgäste, die sich auf der Fahrbahn aufhalten müssen. Es fehlen der Vorrang für Linienbusse bei der Ausfahrt in die Bahnhofstraße und Stellflächen für Busse pausierender Chauffeure, teilweise müssen die Fahrzeuge aufgrund der Platzverhältnisse nicht nur über die Bussteige streichen, sondern auch über Gehwege fahren und Fahrgäste außerhalb der Bussteige auf Straßenniveau aussteigen lassen.

Besonders beeinträchtigt sind die Fahrgastgruppen der Familien mit Kinderwagen, Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderung. Im Personenbeförderungsgesetz hat der Bund bereits 2013 festgelegt, dass die Barrierefreiheit im ÖPNV zum 1. Januar 2022 erreicht werden soll. Diese Maßnahme ist natürlich an stark frequentierten Haltstellen wie dem ZOB, der mit Abstand größten Busstation im Landkreis Göppingen, besonders geboten. Bislang wird dort die Barrierefreiheit nach VVS-Standard allerdings nur an einem Bussteig eingehalten, konkrete Planungen im Rahmen der angedachten Neugestaltung der Station sind bisher nicht bekannt. Außerdem fehlt ein klares Wegekonzept, eine Fußgängerfurt an der Bahnhofsstraße führt direkt in den Zufahrtsbereich des ZOB.

Gegenwärtige Verkehrssicherheit am ZOB

Aufgrund der geschilderten Gesamtsituation stellen wir letztlich die Verkehrssicherheit am Göppinger ZOB für Fahrgäste in Frage. Für den Fahrgastbeirat ist es deshalb unerlässlich, dass die Göppinger Stadtverwaltung die gegenwärtige Betriebsfähigkeit durch ein Ingenieurbüro prüfen lässt. Kurzfristige Maßnahmen wie ein umfangreiches Sicherheitskonzept sind darüber hinaus geboten.

Dieses kann nach Ansicht des Fahrgastbeirats zum Beispiel durch Sicherheitspersonal vor Ort gewährleistet werden, damit sich insbesondere Menschen mit Behinderung orientieren können.

Neben der verkehrlichen Sicherheit sehen wir in der Gegenwart auch dringenden Handlungsbedarf im Bereich des Schutzes vor Belästigungen, Übergriffen und Kriminalität. Von Frauen und Mädchen haben wir verstärkt Rückmeldungen, dass sie ZOB und Bahnhof nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr ohne Begleitung betreten. Im Zweifelsfall verzichten sie auf die Nutzung des ÖPNV. Anlieger des ZOB berichten von Rauschgiftdelikten.

Toiletten am ZOB und in der Tiefgarage

Ein weiterer Mangel sind zweifellos die hygienischen Zustände in den ZOB-Toiletten, die man nur als „erbärmlich“ bezeichnen kann. Fahrgäste berichten, dass bereits der Gestank vor den Toiletten ekelerregend sei. Verschärft wird die Lage durch die Beschilderung in der Göppinger Bahnhofshalle, die selbst ankommende Reisende auf die ZOB-Toilette verweist.

Die Alternative der Toilette in der Bahnhofstiefgarage ist schlecht ausgeschildert, der Weg über den südlichen Abgang bietet kaum Orientierung. Für Frauen in den Abendstunden ist es äußerst unangenehm, in der Tiefgarage nach einer Toilette suchen zu müssen, die überdies eine Unisex- Toilette ist, welche nur durch den passenden Betrag in Form eines 50-Cent-Stücks Zugang gewährt. Die weibliche Perspektive und der praktische Nutzen von Einrichtungen müssen bei den ÖPNV- Planungen unbedingt eine stärkere Berücksichtigung finden.

Inklusion nicht ausreichend berücksichtigt

Im Bahnhofsbereich fällt zudem erneut die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung auf. Der Mobilitätspunkt ist aufgrund der Höhe des Bedienfelds nicht für alle Fahrgäste geeignet. Ein weiterer Kritikpunkt: Obwohl der VVS Bahnhof und ZOB als eine Station wertet, durch den Ortsnamen

„Göppingen“ bezeichnet, gibt es für Fahrgäste zwischen Bahnhof und ZOB keine taktilen Orientierungshilfen und damit bei Schnee- und Eislage auch keinen eindeutig gekennzeichneten Weg über den Bahnhofsplatz, der für mobilitätseingeschränkte Personen in geeigneter Weise geräumt ist.

Bedenkenswert ist der so genannte „Shared Space“ der Bahnhofstraße, der neben Menschen mit Behinderung auch Familien und deren Kinder sowie Seniorinnen und Senioren benachteiligt.

Autofahrerinnen und Autofahrer lassen nicht immer die notwendige Umsicht erkennen, um Fußgängerinnen und Fußgängern zwischen ZOB und Bahnhof beim Überqueren der Straße den Vorrang zu gewähren.

Ein häufig auftretendes Ärgernis ist für den Fahrgastbeirat der Aufzug vom Bahnhofsplatz zum Steg. Er ist störungsanfällig, unklare Zuständigkeiten für die Wartung stellten uns in der Vergangenheit mehrfach vor Probleme. Unsere Hinweise, im und am Aufzug die Zuständigkeiten vor allem für den Störungsfall durch Beschilderungen zu klären, wurden leider von der Stadtverwaltung nicht angenommen. Auch unsere Bitte, den Ausfall der Aufzüge am Bahnhofsplatz und an der Jahnstraße VVS und Deutscher Bahn zur Hinterlegung in den Informationssystemen zu melden, ergab keine erkennbare Resonanz. Aufgrund der vielfältigen Unsicherheiten können wir derzeit niemandem raten, sich auf die Barrierefreiheit im Göppinger Bahnhof bzw. im Bereich des Stegs zu verlassen.

Haltestellen in der Innenstadt mit wenig Komfort

Betrachtet man die gesamte Innenstadt sowie deren Randbereiche, fällt die verbesserungswürdige Ausstattung der Haltestellen auf. Leider verfügen nicht alle Haltstellen über Wartehäuser, was für den modernen Busverkehr ebenso zur Grundausstattung gehört wie die bereits thematisierte Barrierefreiheit. Nur die Hälfte der Haltestellen weist diese auf. An der Haltestelle Bahnhofssteg mussten wir beobachten, wie beim Schienenersatzverkehr mobilitätseingeschränkte Fahrgäste wegen der fehlenden Barrierefreiheit nur unter größter Mühe die Fahrzeuge verlassen konnten.

Erstaunlich ist zudem, dass von den 20 Haltestellen der Innenstadt, über die ein Großteil des ÖPNV im Landkreis abgewickelt wird, nur an drei digitale Fahrgastinformationen in Form des „DFI-light- Systems“ installiert sind. Das betrifft auch die sehr stark frequentierte Haltestelle Schützenstraße, an der 22 Linien abfahren. Hier sieht der Fahrgastbeirat dringenden Handlungsbedarf, da neben der fehlenden Digitalanzeige die Aufstellfläche für Fahrgäste und die Haltefläche für Linienbusse begrenzt ist, Hochboard, taktiles Bodenleitsystem, Sitzmöglichkeiten und Wetterschutz fehlen und selbst die vorhandenen analogen Informationen nur schwer zu entziffern sind. Fahrgäste sind momentan Wind und Wetter ausgesetzt, teilweise müssen sie sich auf den Boden setzen, in der Dunkelheit sind die Lichtverhältnisse diffus. Aus Sicht des Fahrgastbeirats ist der Zustand der Haltestelle Schützenstraße insbesondere vor dem Hintergrund der Mobilitätswende indiskutabel.

Vorbereitung auf künftige Technologie in der Antriebstechnik

Beim Blick auf die Mobilitätswende ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr bis 2030 verdoppelt werden sollen, sondern auch die Antriebstechnik der Linienbusse im Sinne der „Clean Vehicles Directive“ (CVD) Veränderungen unterliegt. Bei den neu zu lizenzierenden Linienbündeln im Landkreis Göppingen kommen nur Busunternehmen zum Zuge, die bis Ende 2025 die CVD-Richtlinie der EU erfüllen, d. h. in ihrer Flotte 22,5% saubere und 22,5% lokal emissionsfreie Linienbusse bereitstellen können. Bisher ist nicht öffentlich bekannt, inwiefern die Stadt Göppingen bei ihren Planungen Infrastruktur für batterieelektrische Busse und Wasserstoffbusse berücksichtigt. Der Einsatz von Brennstoffzellenbussen im Rahmen der Wasserstoffinitiative des Landkreises, an der auch die Stadt Göppingen beteiligt ist, ist erklärtes Ziel.

Keine politische Teilhabe der Zivilgesellschaft

Leider müssen wir abschließend feststellen, dass die Göppinger Bauverwaltung auf die Beteiligung der Buskunden über den Fahrgastbeirat wenig Wert legt. Die Kommunikation gestaltet sich sehr schwierig, mehrfache Kontaktaufnahmen liefen in Leere, der zuletzt getroffenen Zusage der Bauverwaltung, dass der Fahrgastbeirat die Planungen des ZOB begleiten darf, folgten bisher keine Informationen und kein Gesprächsangebot. Nach unserem Kenntnisstand werden auch die Busunternehmen als weitere Nutzergruppe bislang nicht berücksichtigt.

Zur generellen Teilhabe des Göppinger Fahrgastbeirats erhielten wir im Juni 2021 einen Brief des Oberbürgermeisters, in welchem er unseren Vorschlag der „Göppinger Mobilitätstage“ ablehnt mit dem Hinweis, dass man einer Gemeinderatsklausur nicht vorgreifen wolle. Am Ende heißt es: „Außerdem halte ich es für angezeigt, ein integriertes Mobilitätskonzept für unsere Stadt zu erarbeiten, das sämtliche Handlungsfelder der Mobilitätsarten im Umweltverband behandelt. Dabei werden wir voraussichtlich in 2022 auch Sie als Regionaler Fahrgastbeirat des Landkreises Göppingen beteiligen.“ Leider wurde der Fahrgastbeirat bis heute bei keiner Maßnahme berücksichtigt. Eine Ausnahme bildet lediglich die Projektgruppe zur fußgängerfreundlichen Innenstadt, die letztlich im politischen Prozess keine Berücksichtigung erfuhr.

Der Göppinger Fahrgastbeirat würde es begrüßen, wenn die Kommunikation mit der Stadtverwaltung eine solide Basis erhielte und die am ÖPNV beteiligten Personengruppen gehört würden. Nur wenn im Rahmen der zivilgesellschaftliche Teilhabe Missstände angesprochen, gemeinsam diskutiert und konstruktiv angegangen werden, kann die Mobilitätswende zur Zufriedenheit der Beteiligten gelingen. Der Fahrgastbeirat steht Ihnen mit unserer Kritik, aber auch mit unseren Vorschlägen gerne zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen Heiko Stobinski

19. Februar 2024